Interview
„Wie können wir es schaffen, auch bei digitalen Formaten alle mitzunehmen?“

06.07.2020

Vorsichtig optimistisch nach der Premiere: Die Vereine Peuple et Culture und Clash! Exchange & Learning haben mit Unterstützung des Bürgerfonds zum ersten Mal eine Online-Fortbildung organisiert. Hier geben sie Tipps und ziehen eine gemischte Bilanz.

 

1 - Sie haben kürzlich einen 100 % digitalen Workshop zum Thema „Interkultureller Dialog“ durchgeführt. Welche Bilanz ziehen Sie von diesem neuen Format?

Morgane Masterman, Dorothee Betz, Dennis Fraters: Eine Fortbildung komplett online zu organisieren, das war für uns alle eine Premiere – und alles in allem eine sehr bereichernde Erfahrung. Wir haben sehr positive Rückmeldungen erhalten und merken, dass aktuell ein großer Bedarf an Online-Formaten besteht.

Mehrere Personen haben auch angemerkt, dass sie anders gar nicht hätten teilnehmen können: Die meisten kamen aus Deutschland und Frankreich, aber manche von ihnen leben aktuell auf Madagaskar, in den USA oder in Griechenland! Das hat uns gewissermaßen die Augen geöffnet, weil wir an diesen Aspekt der Inklusion noch gar nicht gedacht hatten.

Es hat uns auch in unserer Überzeugung bestärkt: Gerade jetzt, wo Reisen und Begegnungen nicht ohne weiteres möglich sind, müssen wir Alternativen für interkulturelle Schulungen schaffen.

 

2 - Was ändert sich im Vergleich zu einer „klassischen“ Fortbildung, was bleibt gleich?

Morgane Masterman, Dorothee Betz, Dennis Fraters: Wir haben bereits zusammengearbeitet, aber es war schon eine Herausforderung, unsere Methoden auf eine komplette Online-Fortbildung zu übertragen! Dieses Format lässt keinen Platz für Spontaneität und der informelle Austausch mit der Gruppe hat uns sehr gefehlt. Außerdem war es schwierig für uns als Team, alles nur per Mail und Videokonferenz vorzubereiten und zu moderieren. Wir hätten nicht gedacht, dass ein Workshop, bei dem man den ganzen Tag vor seinem Computer sitzt, so anstrengend sein kann – sowohl für uns als Organisierende als auch für die Teilnehmenden. Das muss man von vornherein in die Planung einbeziehen. Bei diesem Workshop haben wir viel über die unterschiedlichen Rhythmen einer Präsenz- und einer Online-Fortbildung gelernt.

Trotz allem konnten wir aber viele unserer Methoden gut anpassen und sind sehr zufrieden, dass wir auch online unseren Werten der non-formellen Bildung treu bleiben konnten. Wir konnten zum Beispiel unsere Techniken für grafische Darstellung gut einbringen. Und auch Methoden für Gruppenzusammenhalt oder Energizer ähneln letztlich denen einer „traditionellen“ Fortbildung.

 

3 - Was raten Sie anderen Organisationen, die auch Online-Formate anbieten möchten?

Morgane Masterman, Dorothee Betz, Dennis Fraters: Vor allem eines: genug Zeit für die Vorbereitung einplanen und alles bis ins kleinste Detail planen: Wer sagt was? Wer übersetzt? Wer ist für die Technik verantwortlich? Wer kümmert sich um den Chat? Und bei technischen Problemen: Tief durchatmen und einen Plan B in der Tasche haben.

 

4 - Können Sie sich vorstellen, das Format weiterzuführen?

Morgane Masterman, Dorothee Betz, Dennis Fraters: Wir hoffen, dass wir bald wieder Fortbildungen vor Ort anbieten können. Das hat sich auch unsere Gruppe gewünscht: Inhalte vertiefen und sich persönlich kennenlernen. Aber wir möchten auch weiterhin die Möglichkeiten von Online-Formaten entdecken und nutzen, selbst wenn das mit viel Arbeit verbunden ist. Derzeit überlegen wir, wie wir sie etwa in der Vorbereitung und im Nachgang von „echten“ Begegnungen nutzen können.

 

5 - Welche Rolle spielt Digitalisierung bei „Peuple et Culture“ – und hat sich daran mit der Coronakrise etwas geändert?

Maxime Boitieux: Wir bei „Peuple et Culture“ und unsere Partner sind ständig am Ausprobieren – auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene. In der Coronakrise haben wir viel darüber nachgedacht, wie wir digitale Möglichkeiten nutzen und welche positiven oder negativen Auswirkungen das hat. Natürlich helfen uns digitale Tools dabei, mit Partnern oder Jugendlichen in Kontakt zu bleiben. Trotzdem darf man 4 Punkte aber nicht vergessen: Haben alle Zugang zu digitalen Tools oder die Fähigkeiten, sie zu nutzen? Können wir lizenzfreie Tools verwenden? Welche Auswirkungen hat das Digitale auf die Umwelt? Und wie sichern wir die pädagogische Qualität unserer Aktionen? Digitale Tools sollten menschliche Beziehungen unterstützen, aber nicht bestimmen.

Sozialer Austausch, Streit, Argumentation, Debatte – all das prägt unsere Gesellschaften. Freies, kritisches Denken entsteht leichter, wenn man zusammen ist und sich begegnet. Digitales ist also „nur“ ein Tool, das uns bei unserer Vereinsarbeit unterstützt.

In den letzten Monaten hatten wir zahlreiche Videokonferenzen mit „Peuple et Culture“-Vereinen – sogar ein wöchentliches Treffen, um uns über unsere Erfahrungen während der Kontaktbeschränkungen auszutauschen. Wir führen möchten alles zusammenführen – die Erfahrungen jeder*s Einzelnen und von uns als Team, aber auch wissenschaftliche Artikel z. B. aus der Soziologie. Diesen Erfahrungsaustausch konnten wir dank digitaler Technik organisieren – jetzt müssen wir definieren, wie wir sie auch in Zukunft für uns nutzen möchten.

 

6 - Was bräuchten Sie als Verein, um die Möglichkeiten des Digitalen noch besser nutzen zu können?

Maxime Boitieux: „Peuple et Culture“ ist eine landesweite Bewegung der außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung, die sich für Selbstlernen und Ausprobieren einsetzt. In diesem Prozess befinden wir uns gerade selbst, auf Basis eigener Erfahrungen und im Austausch mit unseren Partnern: Wie nutzen wir digitale Möglichkeiten bestmöglich für uns? Die Online-Fortbildung, die wir durchgeführt haben, ist Teil dieses Prozesses. Macht das Sinn? Wie ergänzen digitale Formate unsere Präsenz-Angebote? Wie können wir es schaffen, auch bei digitalen Formaten alle mitzunehmen? Was sind Vor- und Nachteile? All diese Fragen müssen wir zunächst einmal beantworten, bevor wir behaupten, die digitale Welt sei per se eine große Chance.

Vereine und alle, die sich in ihnen engagieren – Teamer*innen, Ehrenamtliche, Pädagog*innen – müssen sich ganz besonders weiterbilden, vor allem was lizenzfreie Tools angeht. Wir haben in den letzten Monaten aber auch festgestellt, dass manche Menschen durch digitale Formate ausgeschlossen werden und/oder nicht die nötigen Kompetenzen haben – jung und alt, in der Stadt und auf dem Land.

Weil „Peuple et Culture“ sich vor allem an Personen richtet, die kaum Zugang zu öffentlichen Mobilitätsangeboten haben, haben wir gemerkt: digitale Alternativen (z. B. in der Schule oder im Homeoffice) verstärken Ungleichheiten. Wir finden, dass Vereine der éducation populaire hier eine Rolle spielen und Lösungen finden sollten.

 

7 - Außerschulische Jugend- und Erwachsenenbildung, deutsch-französische Zusammenarbeit und Digitales: Wie sähe Ihre perfekte Welt in 10 Jahren aus?

Maxime Boitieux: Die Pandemie hat Reflexe und Denkweisen wiederaufleben lassen, die wir längst vergessen geglaubt hatten. Wenn nationale Abschottung der erste Reflex ist, haben wir noch viel Arbeit vor uns… In dieser Situation haben Vereine der außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung, die Austauscherfahrungen ermöglichen und die deutsch-französische Freundschaft stärken, gezeigt wie wichtig sie sind und bleiben.

Es ist wichtig, dass sowohl wir selbst als auch die Teilnehmenden unserer Projekte lernen, digitale Techniken kritisch zu betrachten. Nur so können wir als Vereine, Ehrenamtliche, Angestellte und unsere Netzwerke die besten Tools auswählen.

Digitale Tools können geografische Grenzen überwinden – aber andere Grenzen verstärken: mentale, technologische, soziale Grenzen. Daher ist auch Vorsicht geboten, wenn wir das Digitale in den deutsch-französischen und europäischen Austausch einbeziehen. Aber mit Bedacht eingesetzt, können digitale Möglichkeiten zu einem bürgerschaftlichen, sozialen, solidarischen und ökologischen Europa beitragen und zu einer Gesellschaft aktiver, freier und kritischer Bürger*innen.


Morgane Masterman ist interkulturelle und sprachliche Teamerin (DFJW-Zertifikat) und arbeitet seit 2013 im Bereich der interkulturellen Bildung.

Dorothee Betz arbeitet als interkulturelle Teamerin und Sprachanimateurin, zertifiziert durch das DFJW, u. a. für „Peuple et Culture“.

Maxime Boitieux ist bei „Peuple et Culture“ für den Bereich „Internationale Entwicklung“ zuständig und ist zudem Pädagogischer Mitarbeiter des DFJW.

Dennis Fraters ist Pädagoge und arbeitet seit 2010 im interkulturellen Bereich. Er ist der Gründer von „Clash! Exchange & Learning“ und ist auf Methoden zur Förderung des interkulturellen Dialogs spezialisiert.

 

Peuple et Culture ist eine landesweite Bewegung für außerschulische Jugend- und Erwachsenenbildung, die kritisches Denken, Selbstständigkeit, kulturelle und interkulturelle Offenheit für alle vermittelt.

Clash! Exchange & Learning ist eine deutsche Organisation, die auf interkulturelle, internationale und bildende Austausche spezialisiert ist. Ziel der Projekte ist es, den Horizont der Teilnehmer zu erweitern und ihnen dabei zu helfen, ein besseres Bewusstsein für Diversität, Inklusion und politische Partizipation zu gewinnen.