Interview
Spannungsfeld Landwirtschaft

21.10.2020

Sie haben den Coronafrühling genutzt, um eine französische Perspektive auf nachhaltige Landwirtschaft nach Deutschland zu bringen: Engagierte Akteure der kirchlichen Bildungsarbeit, in enger Zusammenarbeit mit Städtepartnerschaften und weiteren Freiwilligen. Wie das klappte – und wie umweltfreundliche Landwirtschaft aussehen kann – erzählen sie im Interview.

 

1 - Im Juli haben Sie mit finanzieller Unterstützung des Bürgerfonds eine Online-Diskussion organisiert: Der französische Regisseur François Stuck und der EU-Abgeordnete Norbert Lins miteinander sprachen dabei über die Bedeutung der Landwirtschaft in Europa und nachhaltige Initiativen französischer Landwirt*innen. Das Projekt hat Sie aber mehrere Monate beschäftigt – erzählen Sie uns mehr darüber!

Albrecht Knoch: Das stimmt. Die ersten Schritte sind wir mit dem Projekt Anfang 2020 gegangen, auf der Zielgeraden angekommen sind wir im September: von der Übersetzung eines Dokumentarfilms in Eigenregie über die Online-Diskussion bis hin zu Filmabenden mit Besucheransturm – das Ganze ist das Ergebnis einer gelungenen deutsch-französischen Kooperation mit vielen Beteiligten:

Den französischen Regisseur François Stuck kannte ich aus einer früheren Zusammenarbeit. Als er mir von seiner aktuellen Dokumentation erzählte, entstand die Idee, den Film auf Deutsch zu übersetzen – im Coronafrühling war dieses zeitaufwändige Unterfangen gut machbar.

Dabei wurden wir tatkräftig von drei Städtepartnerschaftsvereinen unterstützt, deren deutsch-französische Expertise für das Projekt unabdingbar war.

Hobby-Schauspieler und -Sänger sprachen die deutschen Stimmen ein. Im Juli haben wir dann mit Unterstützung des Bürgerfonds zur Online-Diskussion eingeladen, im Herbst zu vier sehr gut besuchten Filmvorführungen.

Organisiert wurden die Veranstaltungen vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (Teil der Evangelischen Akademie Bad Boll) und vom Evangelischen Bildungswerk Oberschwaben, in Kooperation u. a. mit dem Deutsch-Französischen Kulturinstitut Tübingen oder der Sammlung Domnick Nürtingen.

Alle haben ihr Können und ihre Kontakte beigesteuert, sodass wir das Projekt gemeinsam erfolgreich zu Ende bringen konnten.

 

2 - Ihr Diskussionsabend fand – wie so viele Events in Zeiten von Corona – online statt. Wie beurteilen Sie Ihre Erfahrungen mit diesem digitalen Format?

Brunhilde Raiser: Der erste Diskussionsabend war in der Tat online und die Filmaufführungen konnten dann vor Ort mit begrenztem Publikum stattfinden.

Das digitale Format ermöglicht, räumliche Distanzen zu überbrücken.

Wann man dabei mehrsprachig arbeitet und zudem eine Übersetzung benötigt, stellt das hohe Anforderungen an die Technik und die Moderation. Das ist aber gut machbar, sofern die technischen Voraussetzungen (stabile Internetverbindung!) bestehen und man auch bei Problemen die Ruhe bewahrt.

Durch die finanzielle Förderung des Bürgerfonds konnten wir sowohl für die Übersetzung wie auch für die Technik Fachleute „einkaufen“ – das hat eine gute Qualität der Veranstaltung ermöglicht.

Unser Publikum war breit gestreut, Menschen aus den verschiedensten Berufsfeldern haben sich für das Thema interessiert. Da wir für die Online-Diskussion den Vorsitzenden des Landwirtschaftsausschusses der EU-Parlaments, Norbert Lins, gewonnen haben, konnten die Teilnehmenden ihm ihre Anliegen für die gerade laufenden Grundsatzberatungen in der EU vortragen.

 

3 - Der Kirliche Dienst in der Arbeitswelt und das Evangelische Bildungswerk Oberschwaben veranstalten regelmäßig Tagungen und Projekte zu zentralen gesellschaftspolitischen Themen. Warum ausgerechnet das Thema „Landwirtschaft“ und warum die deutsch-französischer Perspektive?

Brunhilde Raiser: Wir veranstalten regelmäßig Tagungen zu Fragen des ländlichen Raums. Zwar bieten wir selbst keine Fachkenntnisse im Bereich Landwirtschaft, aber wir verstehen uns als Plattform für die Diskussion aktueller gesellschaftlicher Fragen. Mit diesen Veranstaltungen wollte das EBO gezielt einen Beitrag gegen das Bauern-Bashing leisten und eine konstruktive Auseinandersetzung mit der Landwirtschaft von heute und morgen anregen.

Das EBO beleuchtet gezielt immer wieder Fragen auch aus europäischer Perspektive – daher war die Zusammenarbeit mit einem französischen Kooperationspartner selbstverständlich.

Die europäische Perspektive ist für ein Mitgliedsland der EU in nahezu allen Politikbereichen unerlässlich:

Zum einen auf Grund der weitreichenden gemeinsamen Gesetzgebungsgrundlagen. Zum andern aber auch, weil viele der Fragen und Probleme grenzüberschreitend sind. Frankreich ist unmittelbares Nachbarland und mit der Bundesrepublik in der EU tonangebend.

Außerdem haben wir Bezug zu Frankreich durch die Zusammenarbeit des EBO mit der Sammlung Domnick, die sich für deutsch-französischen Kunsttransfer einsetzt, aber auch über Albrecht Knoch, der selbst für mehrere Jahre als Pfarrer in Frankreich gearbeitet hat.

 

4 - Vor welchen Herausforderungen stehen die Akteur*innen der Landwirtschaft in Deutschland und Frankreich?

Brunhilde Raiser: Die Akteur*innen der Landwirtschaft stehen in einem enormen Spannungsfeld: Zum einen müssen sie in der Regel mit ihrer Arbeit ihre Existenz sichern (können) – sie müssen sich also auf dem internationalen Markt behaupten können. In Deutschland sind im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern nur wenige Menschen bereit, angemessene bzw. höhere Preise für Lebensmittel zu bezahlen, und zwar nicht nur einkommensschwachen Personen. Der Wert landwirtschaftlicher Produkte wird nur von wenigen geschätzt. Trotzdem erwarten viele Menschen hohen Umwelt- und Naturschutz, ohne dafür finanzielle Konsequenzen zu akzeptieren.

Landwirt*innen spüren zudem bereits massiv klimatische Veränderungen, auf die sie in der Wahl ihrer Pflanzenarten, ihrer speziellen Züchtungen und nicht zuletzt auch mit ihrer Anbauweise reagieren müssen bzw. denen sie möglichst noch präventiv begegnen müssen.

Daher ist diese Debatte absolut erforderlich, und zwar nicht nur unter Landwirt*innen.

François Stuck: Der Mensch bestellt das Land seit 11.000 Jahren. Die Landwirtschaft prägt unsere Lebens- und Denkweise, unsere gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systeme.

Landwirt*innen haben daher nicht nur eine wichtige symbolische Funktion, sondern sie stehen daher im Zentrum der großen gesellschaftlichen Herausforderungen in puncto Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft.

Es geht daher darum, einen Übergang zu schaffen: von einer Landwirtschaft, die Ökosysteme, Böden und Menschen zerstört hin zu einer ökologischen Landwirtschaft, die in wirtschaftlicher, umwelttechnischer und gesellschaftlicher Hinsicht nachhaltig ist. Die bodenregenerierende Landwirtschaft ist eine der bedeutendsten Lösungsansätze für diesen Übergang.

 

5 - Und welche klima- bzw. umweltfreundlichen Initiativen gibt es?

François Stuck: In Frankreich gibt es zahlreiche individuelle oder gemeinschaftliche Initiativen. Ich würde hier besonders die Initiative „4 pour 1000“ hervorheben, die sich direkt mit bodenregenerierender Landwirtschaft befasst, und ganz allgemein alle Gruppen von Landwirt*innen, die Agrar-Ökologie betreiben und weiterentwickeln: da gibt es zum Beispiel den Verein „NegaWatt“, der sich für eine Energiewende bis 2050 stark macht, und schließlich alle Zusammenschlüsse von Landwirt*innen, wie Clé2sol, BASE oder APAD, die sich für die Verbreitung einer nachhaltigen Landwirtschaft einsetzen.

 

6 - François Stuck, in Ihrem Dokumentarfilm gehen Sie insbesondere der regenerativen Bodenbewirtschaftung auf den Grund. Können Sie uns erklären, was ihr Grundprinzip ist, welche Auswirkungen sie auf die Umwelt hat und wie verbreitet diese Art der Landwirtschaft ist – frankreich-, aber auch europaweit?

François Stuck: Nachhaltige und bodenregenerierende Landwirtschaft beruht auf der Annahme, dass der Boden, auf dem angebaut ist, lebendig ist und vielfältige Ökosysteme besitzt. Diese Herangehensweise führt dazu, dass Böden nicht mehr erodiert werden, dass Artenvielfalt auf die Felder zurückkehrt, dass sich Böden und Ökosysteme erholen und dass Wasserressourcen schonender eingesetzt werden. Es führt auch dazu, dass deutlich weniger oder sogar gar keine Insekten-, Pilz- oder andere Gifte mehr eingesetzt werden. Weil die Felder nicht mehr ausschließlich mechanisch bewirtet werden, geht auch der Dieselverbrauch um etwa 50 % zurück; schließlich wird auch weniger synthetische stickstoffhaltiger Dünger eingesetzt.

Wirtschaftlich betrachtet, sichert ökologische Landwirtschaft den Landwirt*innen ein Einkommen und finanzielle Sicherheit für ihren Hof. Und schließlich spielen das Teilen von Wissen und Fortbildungen eine sehr große Rolle. All diese Faktoren führen dazu, dass Landwirt*innen die Entscheidungshoheit über ihre Höfe zurückerlangen.

Die drei technischen Säulen der Agrar-Ökologie sind: Pflanzen werden in Mischkultur angebaut, auf Bodenbearbeitung wird verzichtet und die angepflanzten Sorten wechseln sich ab. In Frankreich wird seit mehr als 40 Jahren ökologische Landwirtschaft betrieben in etwa 4 bis 5 % der Höfe. Sie ist aber auf der ganzen Welt verbreitet und betrifft alle Anbauarten. In der Schweiz wird sie in einigen Kantonen sogar subventioniert.

Es stellt sich also die Frage:

Wenn wir ökologische Methoden für die Landwirtschaft haben, deren umweltfreundliche und wirtschaftliche Wirkung wissenschaftlich erwiesen ist – warum werden sie dann nicht flächendeckend auf nationaler und europäischer Ebene angewandt?


Brunhilde Raiser ist evangelische Theologin und seit 2010 Geschäftsführerin des Evangelischen Bildungswerks Oberschwaben. Zuvor war sie u. a. 8 Jahre lang Vorsitzende des Deutschen Frauenrates und Vorsitzende des/r Evangelischen Frauenverbands/verbände der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Albrecht Knoch ist seit September 2016 Wirtschafts- und Sozialpfarrer beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) in Ulm, der Teil der Evangelischen Akademie Bad Boll ist. Er arbeitete einige Jahre in Frankreich und ist Mitglied der deutsch-französischen Fachgruppe der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen. Er ist Koordinator des europäischen Netzwerks „Church Action on Labour and Life“ in der Konferenz Europäischer Kirchen.

François Stuck ist französischer Regisseur und Produzent von (Dokumentar-)Filmen. Im Mittelpunkt seiner Filme stehen die Themen „Frieden“ und „Würde“. Seine erste Dokumentation in Spielfilmlänge drehte er während des Kriegs in Sarajevo. Die Doku „Das Wörterbuch des Lebens“ erzählt die Geschichte der Kulturaktion „Theater und Freiheit im Krieg“. Vor Kurzem filmte François Stuck eine Dokuserie über unser Verhältnis zueinander und zu anderen Lebewesen. Die erste Folge „1914-1918, will Gott Krieg?“ wurde von France Télévision produziert und anlässlich der Gedenkfeiern des Ersten Weltkriegs ausgestrahlt. Danach drehte er „Fukushima, die Würde des Lebendigen“ und schließlich die Dokumentation „Der Zukunft den Boden bereiten“ über bodenregenerierende Landwirtschaft, die im Rahmen des hier präsentierten Projekts übersetzt wurde.