Interview
Wie machen wir Städtepartnerschaften zukunftsfest?

09.06.2020

Nachwuchssorgen und Unkenrufe oder Fundament und Potenzial für Europa? Städtepartnerschaften haben viele Facetten.

Frank Baasner leitet das Deutsch-Französische Institut Ludwigsburg und forscht u. a. zur Wirkung von deutsch-französischem Austausch.

 

1 - Können Sie uns etwas zur Geschichte, den Aufgaben und der Funktionsweise des Deutsch-Französischen Instituts (dfi) sagen?

Das Deutsch-Französische Institut (dfi) mit Sitz in Ludwigsburg hat eine erstaunliche Entstehungsgeschichte. Es ist eine typisch zivilgesellschaftliche Gründung, wobei aber Vertreter*innen aller denkbaren Gruppen aus Wirtschaft, Politik, Publizistik, aus Bürgertum, Adel und Arbeiterschaft eingebunden wurden. Schon im Jahr 1947 begannen die Planungen, die Gründung erfolgte 1948 noch bevor die Deutsche Mark eingeführt wurde, und auch bevor die Bundesrepublik Deutschland überhaupt entstand.

Die Aufgaben sind in der Vereinssatzung sehr breit formuliert, und sie haben bis heute Bestand: „Förderung der deutsch-französischen Beziehungen in ihrem europäischen Kontext auf allen Gebieten“. Heute ist das dfi ein außeruniversitäres, unabhängiges Forschungs-, Dokumentations- und Beratungsinstitut zu den Themen aktuelles Frankreich und deutsch-französische Beziehungen. Die Bibliothek und die Datenbanken (auch das Pressearchiv) bilden einen einmaligen Fundus an Dokumenten, die allen Interessierten zugänglich sind.

 

2 - Deutsch-französische Städte- und Regionalpartnerschaften besitzen einen hohen politischen Stellenwert. Sie gelten als Fundament der europäischen Zivilgesellschaft. Wie bringen sie Europa zu den Bürger*innen?

Die kommunale Ebene der Beziehungen zwischen Deutschen und Franzosen und zwischen Europäer*innen im Allgemeinen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als besonders wichtig eingestuft. Warum? Weil man in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts gesehen hatte, dass alle Befriedungsversuche an der mangelnden Verankerung in der Bevölkerung gescheitert waren. Deshalb findet sich in den frühen Texten der Nachkriegszeit immer wieder das Argument, dass man jetzt den Weg von unten nach oben gehen muss, also die europäische Einigung in den Kommunen beginnen muss. Wenn man das in Erinnerung hat, stellt sich die Frage vielleicht andersherum: Europa muss nicht zu den Bürger*innen gebracht werden, sondern es ist schon da, und die Aufgabe ist vielmehr, diese Lebenswirklichkeit bewusst zu machen und den Gemeinschaftsinstitutionen zu kommunizieren.

 

3 - Vielerorts ist von einem Auslaufmodell die Rede. Wie zeitgemäß und wirkungsvoll sind Partnerschaften heute?

Unsere große empirische Studie, die wir mit der Bertelsmann Stiftung 2017 durchgeführt haben, und auch weitere Untersuchungen kommen immer wieder zu einem sehr differenzierten Bild. Die Gründungsdynamik hat insgesamt abgenommen, auch wenn es immer noch neue Partnerschaften gibt. Man kann also, was die Menge angeht, eine gewisse Sättigung beobachten.

Im Hinblick auf die Dynamik der bestehenden Partnerschaften kann man sagen, dass ca. 70% mit dem aktuellen Zustand zufrieden sind, aber ca. 30% fürchten in der Zukunft an Zuspruch und Dynamik zu verlieren. Die Mehrzahl scheint also durchaus Formen des Austauschs und des Kontakts zu finden, die als passend empfunden werden. „Zeitgemäß“ ist ein komplizierter Begriff: Manche Begegnungsformate waren vor Jahrzehnten genauso wichtig wie heute, menschliche Begegnung bleibt auch im digitalen Zeitalter der Schlüssel zu nachhaltiger Wirkung.

 

4 - Der Aachener Vertrag will den Zusammenhalt auf kommunaler und regionaler Ebene stärken. Was erhoffen Sie sich vom Deutsch-Französischen Bürgerfonds, den das DFJW aufbaut?

Der Bürgerfonds ist die Antwort auf eine schon lange bestehende Forderung: Schaffen wir eine Möglichkeit der Förderung von Projekten, die aus der Zivilgesellschaft kommen, die oft kleinräumig aber genau deswegen für den Zusammenhalt in der (europäischen) Gesellschaft so wichtig sind. Es gibt viele Förderprogramme auf nationaler oder EU-Ebene. Wir wissen aber alle, dass diese Programme genau nicht niederschwellig sind, sondern ein hohes Maß an Fachkenntnis voraussetzen und so die kleineren Kommunen oder Vereine deutlich benachteiligen.

Wenn es mit dem Instrument des Bürgerfonds gelingen sollte, ohne große administrativen Aufwand eine niederschwellige Antragstellung und Förderung (auch kleiner Beträge) auf den Weg zu bringen, dann wäre viel erreicht. Unsere eigenen bisherigen Erfahrungen mit ähnlichen Förderprogrammen (z.B. das ehemalige Programm der Robert Bosch Stiftung On y va oder das neue Programm der Baden-Württemberg Stiftung Nouveaux Horizons) zeigen, dass mit vergleichsweise geringen Mitteln viel bewirkt werden kann. Aber immer unter einer Voraussetzung: Die ehrenamtlichen Strukturen der Zivilgesellschaft brauchen Beratung und Begleitung, die reine Existenz der Fördermöglichkeit reicht nicht aus.

 

5 - Der Generationenwechsel, verbunden mit Nachwuchssorgen wird oft als problematisch angesehen. Können Sie dies bestätigen? Wie können junge Menschen motiviert werden, sich zu engagieren?

Unsere Untersuchungen und Seminare mit Vertreter*innen von kommunalen Partnerschaften zeigen in der Tat, dass die Mobilisierung junger Menschen über die klassische Vereinsarbeit nicht so leicht ist. Das hat viele Gründe und trifft übrigens die Vereine im Allgemeinen. Sehr gut funktioniert eine projektorientierte Motivation: „Wir machen etwas zusammen mit einem klaren Ziel, und dann ist das Projekt auch irgendwann fertig.“ Dieser Ansatz ist einfacher umzusetzen als die Mitarbeit in Vereinsgremien.

Was den schulischen Austausch angeht, so plädieren wir schon lange für eine Loslösung der Angebote vom jeweiligen Sprachunterricht. Auch Geographie-, Geschichts- oder Gemeinschaftskundeklassen können zu Schüler*innen in der Partnerstadt fahren – genauso wie Musikensembles oder Mannschaften unterschiedlichster Sportarten. Die Sprachproblematik sollte man gerade bei jungen Menschen nicht überbewerten – wer etwas gemeinsam tun will, der kommuniziert auch miteinander, notfalls mit Händen und Füßen.

 

6 - Wie können die Partnerschaften zukunftsfest gemacht werden, wie ihr Potenzial besser ausgeschöpft werden?

Was wir bei unseren unzähligen Kontakten und Treffen immer wieder gehört und gesehen haben, ist ein Mangel an Vernetzung untereinander und eine zu geringe Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit und damit auch der Politik. Wenn es gelingen würde, den mehr als 2.200 deutsch-französischen Partnerschaften eine gemeinsame Stimme zu verleihen, dann wäre diese Stimme weithin hörbar. Das knüpft unmittelbar an die zweite Frage weiter oben an. Die kommunalen Verbindungen sind nicht in ihrer Gesamtheit sichtbar oder repräsentiert – hier liegt eine Aufgabe für die kommunalen Spitzenverbände und die Organisationen auf europäischer Ebene.

Und gleichzeitig fragen die Akteure immer wieder nach Möglichkeiten, sich zu treffen, auszutauschen und voneinander zu lernen. Unser Vorschlag ist, aufbauend auf jahrzehntelanger Erfahrung, eine moderierte Plattform ins Leben zu rufen, auf der Informationen, Erfahrungsaustausch und Beratung gebündelt werden könnten. Auch hier gilt allerdings wie bei den Überlegungen zum Bürgerfonds, dass die bloße Bereitstellung von Informationen nicht ausreichen wird, um die Akteure an der Basis unserer Gesellschaft in ihrem europäischen Tun zu unterstützen. Wer niederschwellig fördern will, der muss auch beraten und begleiten.

Redaktion: Annette Schwichtenberg (DFJW)


Prof. Dr. Frank Baasner (*1957) ist in Paris, Bonn und Belgien aufgewachsen. Nach dem Studium der Romanistik und Psychologie in Bonn, Bologna und Paris promovierte er mit einer Arbeit zur europäischen Aufklärung. Seine Habilitationsschrift behandelt die Literaturgeschichtsschreibung in Spanien. Er hat seinen Lehrstuhl an der Universität Mannheim. Gastprofessuren führten ihn nach Valencia, Salzburg und Linköping. 2003 wird er ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Mainz. Seit fast 20 Jahren leitet er das Deutsch-Französische Institut Ludwigsburg (dfi).

Seine wissenschaftlichen Arbeiten befassen sich mit europäischer Ideengeschichte und kulturellen Wechselbeziehungen. Am dfi befasst er sich vor allem mit Untersuchungen zu Phänomenen deutsch-französischer und europäischer Kooperation und mit der Frage, wie Austauschprogramme auf die Beteiligten langfristig wirken. Als Direktor des dfi ist er ein gefragter Experte in zahlreichen Medien.