Interview
„Hoffnung schöpfen und aktiv werden dank Ökofeminismus“
08.03.2021
Ein Team engagierter Frauen aus Deutschland und Frankreich hat mit Unterstützung des Bürgerfonds das „Positive Lab“ ins Leben gerufen: eine Plattform für Forschung, Events, Training, Lesezirkel, Co-Working im Zeichen von Ökologie und Feminismus. Wie beides miteinander zusammenhängt, erklären sie im Interview.
1 - Das „Positive Lab“ versteht sich als „deutsch-französische ökofeministische Unternehmensschmiede“. Wie hängen Ökologie, Feminismus und Unternehmertum miteinander zusammen?
Emilie Langlade: Wir sehen unsere Initiative „Positive Lab“ wir eine Matrix – eine Struktur, die uns umgibt, die reproduziert werden und aus der man etwas aufbauen kann. Wir sind überzeugt davon, dass Kooperation und Netzwerke zwischen Frauen uns dabei helfen können, neue Systeme zu erkunden und aufzubauen, die auf weiblichen Sicht- und Herangehensweisen beruhen. Und sobald man versucht, aus bestehenden Systemen der Unterdrückung und der Ausbeutung auszubrechen, erkennt man, wie Ökologie, Feminismus und Wirtschaft miteinander zusammenhängen.
Elisa Gratias: Wir würden ganz anders mit den natürlichen Ressourcen dieses wundervollen Planeten umgehen, wenn Unternehmen ethisch handeln würden und politische bzw. wirtschaftliche Entscheidungen auch weibliche Eigenschaften wie Empathie, Intuition und Respekt vor dem Lebendigen einbeziehen würden.
Axelle Vergès: Sowohl in der Natur als auch in der Wirtschaft sind Monokulturen bzw. die Dominanz einiger großer Konzerne weder gesund noch nachhaltig. Wir berufen uns stattdessen auf das Modell der Permakultur, die auf ein funktionierendes Öko-System abzielt. Mit Positive Lab wollen wir diese „öko-logische“ Sichtweise vermitteln und so dazu beitragen, positive Öko-Systeme zu schaffen:
Wir möchten Frauen mit Knowhow und Tools ausstatten, mit denen sie ihre Projekte, Initiativen und Unternehmen auf nachhaltige Art und Weise verfolgen können.
2 - Wie entstand die Idee zu L’/Die Œcoféminothek – und wie wurde daraus, Schritt für Schritt, eine Online-Plattform?
Emilie Langlade: Wir wollten deutlich machen, wie unglaublich viel Wissen es bereits in der ökofeministischen Literatur gibt, die Frauen auf der ganzen Welt niedergeschrieben haben. Ihre Bücher zeigen inspirierende Perspektiven zum Thema Klimawandel und zu den darauf folgenden gesellschaftlichen Umwälzungen.
Viele von uns suchen derzeit nach Ressourcen, durch die wir Hoffnung schöpfen und aktiv werden können – und die ökofeministische Literatur ist so eine Ressource!
Beim Lesen deutscher und französischer Autorinnen – wie etwa Maria Mies oder Françoise d’Eaubonne aus den 70er Jahren oder Emilie Hache und Emilia Roig ganz aktuell – fühlen wir uns länderübergreifend verbunden, im gemeinsamen Engagement für geteilte Überzeugungen und für eine gerechtere Gesellschaft.
Axelle Vergès: Aber da wir nicht alle Bücher vorab lesen konnten, haben wir L’/Die Œcoféminothek gegründet – eine Art deutsch-französischer Kreis kollektiver Intelligenz, der bereits 175 Mitglieder zählt! Wir lesen gemeinsam, tauschen uns darüber aus und laden Autorinnen, Expertinnen oder Aktivistinnen ein, um zusammen weiterzudenken und unseren Horizont zu erweitern. An dem Projekt L’/Die Œcoféminothek sind sämtliche Akteure unseres Ökosystems beteiligt – es ist also ein wirklich ökosystemischer Ansatz, eine Art Prototyp für zukünftige Initiativen von Frauen, die wir unterstützen möchten.
Emilie Langlade: Unsere Idee stieß auf großes Interesse bei unserem Partner Meeet – Räume für Begegnungen, der sich besonders für bürgerschaftliches Engagement, Feminismus und Umweltschutz einsetzt und uns ermöglicht hat, unsere ersten Treffen online durchzuführen.
3 - Forschung, Events, Training, Lesezirkel, Co-Working: Das „Positive Lab“ hat viele Standbeine. Wie steht es um die Umsetzung in Zeiten von Corona? Welches Echo erfahren Sie?
Axelle Vergès: Als wir 2020 in der Konzeptions-Phase waren, haben wir uns mit möglichst vielen Akteur*innen unseres Berliner Ökosystems getroffen. Dieser menschliche Kontakt war sehr wichtig, um unsere Partner*innen zu überzeugen und ins Boot zu holen.
Emilie Langlade: Anschließend sind wir auf virtuelles Arbeiten umgestiegen: Dabei hatten wir das Glück, von Tixeo unterstützt zu werden, einer französischen Firma für Videokonferenzen. Das Team rund um Positive Lab hat sich noch nie einmal komplett zusammen vor Ort getroffen!
Wenn alle an einem Strang ziehen, klappt es auch auf Distanz gut – aber wir glauben trotzdem, dass es wichtig ist, nicht ausschließlich online miteinander zu interagieren.
Axelle Vergès: Im Online-Austausch ist es schwieriger, gemeinsam kreativ zu sein.
Emilie Langlade: Deswegen entwickeln wir nun hybride Veranstaltungen, um auch an anderen inspirierenden Orten in Berlin präsent zu sein. Für 2021 haben wir ein Programm mit (wenn nötig reduziertem) Publikum entworfen, bei dem alle, die uns bereits online folgen, auch offline zusammenkommen können.
4 - Welche Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten beobachten Sie in der öffentlichen Debatte über Feminismus und Umweltschutz in Deutschland und Frankreich?
Elisa Gratias: In Deutschland haben sowohl „Ökos“ als auch Feministinnen einen dogmatischen Ruf, der nicht gerade dazu verführt, sich einer der beiden Bewegungen anzuschließen. Als Deutsche hatte ich totale Vorurteile.
Nun setzte ich mich mit den Inhalten des Ökofeminismus auseinander und stelle überrascht fest, dass ich genau diese Werte schon lange vertrete.
Die öffentliche Debatte lässt sich – wie wir bei unserem ersten Event dank der Philosophin Jeanne Burgart Goutal erkannten – schnell durch Etiketten vom Inhalt ablenken …
Emilie Langlade: Bei den 15-30-Jährigen sehe ich in beiden Ländern sehr große Lust, im Kampf gegen den Klimawandel aktiv zu werden: zu verstehen, was uns in die heutige Situation gebracht hat und dieses kranke System zu verändern. Ich habe den Eindruck, dass das Thema Umweltschutz in Deutschland ziemlich ernst genommen wird.
Beim Feminismus finde ich besonders spannend, dass er in Deutschland und Frankreich einen ganz anderen historischen, gesellschaftlichen und politischen Kontext hat.
Die Bedeutung der unterschiedlichen Geschichte wird allein schon in Berlin deutlich, wo die feministische Geschichte der Frauen der ehemaligen DDR nicht mal bis zu den Ohren der Westberlinerinnen durchgedrungen ist!
In Frankreich gibt es momentan Aufwind für die feministische Bewegung, vor allem in den sozialen Netzwerken. Das ist eine große Chance für die französische Gesellschaft: Frauen erheben ihre Stimme, es gibt eine klare Tendenz zu intersektionalem Feminismus, dem auch wir uns verschrieben haben: Er macht vor allem die Frauen sichtbar, die mehrfache Diskriminierung erfahren: Sexislus und Rassismus, Sexismus und Klassismus, Sexismus und Homophobie, Sexismus und Transphobie … Aber in Frankreich ist die öffentliche Debatte oft stark vereinfacht, teilweise sogar aggressiv oder wird ins Lächerliche gezogen.
5 - Teil der „Ökofeminithek“ ist das Wort „Bibliothek“. Welches Buch lesen Sie gerade? Und welche Lektüre empfehlen Sie für einen guten Einstieg in das Thema Ökofeminismus?
Suzon Bachet: Ich lese im Moment „Peau noire, masques blancs“ (Schwarze Haut, weiße Masken) von Frantz Fanon. Ich versuche allgemein so viel Literatur wie möglich von schwarzen Autor*innen, insbesondere von Frauen, zu lesen. Als Einstieg in den Ökofeminismus empfehle ich 3 Bücher, die wir in unserem ersten Lesezirkel besprochen haben:
- Ökofeminismus – Die Befreiung der Frauen, der Natur und unterdrückter Völker – Marie Mies & Vandana Shiva
- Être écoféministe – Jeanne Burgart Goutal
- Reclaim – Emilie Hache
Elisa Gratias: Ich habe gerade „Ökofeminismus“ gelesen. Der Klappentext bringt es auf den Punkt: „Das Buch verdeutlicht, dass eine bessere Welt nicht nur notwendig ist, sondern dass sie auch schon begonnen hat.“ Genau das Richtige in Zeiten wie diesen, wo viele von uns sich ohnmächtig und machtlos fühlen.
Axelle Vergès: Die Fabel „Der stärkste Baum“ von Gunter Pauli, Wirtschaftswissenschaftler und Begründer von ZERI (Zero Emissions Research and Initiatives), stellt beispielhaft die ökofeministische Sichtweise von Wirtschaft dar.
Emilie Langlade: Ich freue mich schon, für unseren zweiten Lesezirkel das Buch „Why we matter – Das Ende der Unterdrückung“ von Emilia Roig anzufangen, die das CIJ (Center for Intersectional Justice de Berlin) gegründet hat.
Emilie Langlade ist Co-Gründerin Positive Lab Berlin. Sie ist Journalistin, gut gelaunte Ökofeministin und seit 8 Jahren Moderatorin des Arte-Magazins für Wissenschaftsvermittlung „Xenius“. Zuvor arbeitete sie 10 Jahre lang für France Télévisions und 2 Jahre lang für den ORF in Wien. Emilie Langlade nahm als Kind an Programmen des Deutsch-Französischen Jugendwerks teil und ist eine der ersten Generationen „AbiBac“ und begeistert sich auch heute noch für die deutsch-französische Zusammenarbeit. Sie moderiert Konferenzen und Diskussionsrunden zu den Themen Innovation und Nachhaltige Entwicklung. Für die Organisation „We don't have time“ drehte sie die Kurzdoku „Climate Solutions Explained, Episode one : The Exponential Roadmap“. 2017 erhielt sie ein Zertifikat des Mentoring-Programms „Life is your work of Art“ in San Francisco.
Axelle Vergès: Co-Gründerin Positive Lab Berlin & Beraterin für Innovation & regeneratives Marketing
Elisa Gratias: Team Positive Lab Berlin & Autorin, Übersetzerin
Suzon Bachet: Community Manager Positive Lab Berlin