Interview
Wo Ehrenamt drauf steht, ist auch Ehrenamt drin

10.12.2020

Das frankreichweite Netzwerk von France Bénévolat wird hauptsächlich von Freiwilligen betrieben, die genau wissen, was Vereine und Ehrenamtliche brauchen. Bei France Bénévolat sind generationsübergreifende Projekte nicht erst seit Corona ein Schwerpunkt – und auch deutsch-französisch wird eng zusammengearbeitet. Einblicke von Michel Lefranc, zuständig für die internationalen Beziehungen.

 

1 - France Bénévolat hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Ehrenamt in Vereinen zu stärken, interessierte Personen und Vereine zusammenzubringen und Vereine bei der Zusammenarbeit mit ehrenamtlich Engagierten zu unterstützen. Wo sind Sie normalerweise aktiv und welche Maßnahmen haben Sie seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ergriffen, um die Vereinslandschaft zu unterstützen?

France Bénévolat wurde 2003 gegründet, ist als gemeinnützige Organisation anerkannt und gilt heute in Frankreich als die Referenz für ehrenamtliches Engagement in Vereinen. Unsere Organisation besteht aus zwei Netzwerken: einerseits die 7.000 Mitgliedsvereine, von denen 80 auf nationaler Ebene aktiv sind; und andererseits 80 Zentren in ganz Frankreich, die von 800 Freiwilligen betrieben werden. In diesen Zentren empfängt France Bénévolat all jene, die sich ehrenamtlich engagieren möchten. Wir bringen Interessierte mit den passenden Vereinen vor Ort zusammen und achten darauf, dass ihr Engagement bestmöglich gewürdigt wird.

Die Lust am gemeinsamen Engagement ist in unserer Gesellschaft definitiv vorhanden, das zeigen Studien aus den letzten zehn Jahren.

Die derzeitige Gesundheitskrise ist das jüngste Beispiel dafür und zeigt, dass gerade junge Menschen Lust haben, sich aus den unterschiedlichsten Gründen und auf verschiedene Art und Weise zu engagieren. Eine unserer Herausforderungen besteht in der Vermittlung: Wir unterstützen Vereine dabei, ihr Angebot an Ehrenamtliche zu verbessern, engagierte Personen bestmöglich zu betreuen und die Funktionsweisen der Organisation an die Lebensentwürfe der Ehrenamtler*innen anzupassen.

 

2 - Das Vereinsprojekt France Bénévolat wird von Ehrenamtlichen betrieben, sowohl an den rund 200 lokalen und regionalen Standorten als auch auf nationalem Niveau, hier mit der Unterstützung eines Teams von Festangestellten. Was bedeutet das für Sie in Ihrer alltäglichen Arbeit? Wo sehen Sie Herausforderungen und was sind die Vorteile? Welche Tipps können Sie anderen Organisationen geben, die auf ehrenamtlichem Engagement beruhen?

Um ehrenamtliche Teams zu managen, muss man sich voll und ganz der Dynamiken bewusst sein, die die Vereinsarbeit prägen – das ist ganz zentral.

Ehrenamtliche sollten nicht nur als „Arbeitskräfte“ gesehen werden, sondern vor allem als engagierte Treiber, die aktiv mitgestalten und sich mit dem Projekt identifizieren sollen.

Wer sich ehrenamtlich engagiert, sollte sich dabei auch persönlich weiterentwickeln oder entfalten können und den gesellschaftlichen Nutzen der gemeinsamen Arbeit spüren.

Bei France Bénévolat haben wir für die Eingliederung von Ehrenamtlichen bestimmte Abläufe und regelmäßige Treffen auf regionaler und nationaler Ebene sowie eine kollaborative Plattform geschaffen; das soll dafür sorgen, dass sich Engagierte tatsächlich als Akteure begreifen, das Projekt gut kennen, sich bereichsübergreifend austauschen und sich als Teil der Gemeinschaft begreifen.

 

3 - Solidarität zwischen den Generationen ist eine Facette des Engagements, die vor allem seit Beginn der Corona-Pandemie hervorgehoben wird. Bei France Bénévolat bildet sie seit 2011 einen Schwerpunkt. Welche Strategie verfolgen Sie, um die Beziehungen zwischen Jung und Alt zu stärken? Und welche Bilanz ziehen Sie 10 Jahre nach dem Start Ihres Programms „Solidâges21“?

An erster Stelle sind hier die über 1.000 konkreten Projekte zu nennen, die vor Ort entstanden sind.

Wir haben heute das Gefühl, dass unser Anliegen besser verstanden wird und dass wir dazu beitragen konnten, die Bilder in den Köpfen der Menschen etwas zu verschieben.

Und das in einem Land, in dem die Schere zwischen den Generationen besonders weit auseinandergeht und wo „Misstrauen gegenüber den anderen“ leider eher die Regel als die Ausnahme ist.

Zum Beispiel gibt es heute in den Rathäusern immer mehr Projektbeauftragte für generationsübergreifende Solidarität – vor 10 Jahren war das noch Zukunftsmusik. In den Sozialzentren gibt es immer mehr intergenerationelle Aktionen. Auch bürgerschaftliche Initiativen, etwa zum Thema Nachhaltigkeit, beziehen immer öfter Menschen aus verschiedenen Generationen mit ein …

 

4 - France Bénévolat kooperiert mit ähnlichen Organisationen in Europa. Warum ist Ihnen das wichtig? Welche Beziehungen pflegen Sie mit Deutschland? Und wie könnte die deutsch-französische Zusammenarbeit auf zivilgesellschaftlicher Ebene ausgebaut werden

France Bénévolat ist Mitglied im Büro des Europäischen Zentrums für Freiwilligenarbeit in Brüssel. Dieses Zentrum arbeitet mit vielen europäischen Ländern zusammen, vor allem mit Deutschland, etwa mit der Arbeitsgemeinschaft des Bürgerschaftlichen Engagements (ARBES) oder dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE).

France Bénévolat kooperiert außerdem mit deutschen Partnern bei „Erasmus+“-Projekten, vor allem zum Thema Ehrenamt in Gefängnissen. Mit Stuttgart pflegen wir einen besonderen Austausch zur Frage der Arbeit mit Geflüchteten: Baden-Württemberg hat gemeinsam mit Schweden eine Fortbildung entwickelt, die Geflüchtete bzw. Asylsuchende und Ehrenamtliche vor Ort zusammenbringt und ersteren zu mehr Selbstständigkeit verhelfen soll. Wir würden uns freuen, wenn Verantwortliche aus Baden-Württemberg diese Fortbildung mit uns in Frankreich teilen würden – der Bedarf ist da!

Wir möchten den Deutsch-Französischen Bürgerfonds sehr gerne dafür nutzen, nachhaltige Beziehungen zwischen deutschen und französischen Altersheimen zu knüpfen ...

... und ein Netzwerk zu gründen, das sich in einem zweiten Schritt auch auf weitere europäische Partner ausdehnen könnte.

Gerade haben wir ein wichtiges Pilotprogramm gestartet (REACT ! (Renforcer l’Engagement Associatif au Cœur des Territoires !, Deutsch: Engagement in Vereinen vor Ort stärken!), das das Ehrenamt in all seinen Facetten in ganz Frankreich stärken soll. Auch zu diesem Thema sehen wir großes Potenzial für einen Austausch mit deutschen Partnern. Und nicht zuletzt haben wir viel Erfahrung in der Arbeit mit benachteiligten Jugendlichen, die wir gerne mit Partnern aus Deutschland teilen.


Michel Lefranc ist Lehrer für Englisch und hat in vergleichender Literaturwissenschaft promoviert. Als überzeugter Europäer hat er beruflich Station gemacht in:

  • England (Lektor an der Universität Exeter)
  • Norwegen (Lektor an der Universität Oslo)
  • Deutschland (Zivildienst)
  • Österreich (Direktor am Europäischen Fremdsprachenzentrum des Europarates)
  • Belgien (Experte bei der Europäischen Kommission, später Leiter der Alliances françaises für Belgien)

In der Normandie hat er einen Verein für europäische Ideen gegründet; er war außerdem Mitglied der Europäischen Bewegung und stellvertretender Bürgermeister in Caen, wo er die internationalen Beziehungen verantwortete. Heute ist Michel Lefranc Mitglied im Büro des Europäischen Zentrums für Freiwilligenarbeit in Brüssel sowie im Verwaltungsrat von France Bénévolat, wo er die internationalen Beziehungen und das Programm für Geflüchtete verantwortet, sowie im Verwaltungsrat des Europäischen Forums für Mehrsprachigkeit. Lefranc arbeitet außerdem an einem Märchenprojekt für Erwachsene.